Beobachten
Ockhams Messer
Ein wissenschaftliches Tabu?
Jede Beobachtung setzt zwingend Vorannahmen voraus. So enthält der Satz „Der Himmel ist blau“ bereits eine Theorie der Farben. Und der Satz „Dieses Objekt ist ein Wetterballon“ setzt eine Theorie über Dinge, die am Himmel gesehen werden können, voraus. Eine Wissenschaft, die Beobachtungen zu ihrem Ausgangspunkt macht, wird immer wieder an dem Problem scheitern, dass jeder Beobachtung bereits Vorannahmen zugrunde liegen. Und in der Tat beruht die Leidenschaftlichkeit, mit der immer wieder über sogenannte UFO-Sichtungen diskutiert wird, einzig und allein auf unterschiedlichen Vorannahmen über die Frage, ob außerirdische Besucher für möglich gehalten werden oder nicht. Und diese Vorannahmen wurzeln wiederum eher in weltanschaulichen Grundüberzeugungen als in empirischen Befunden.
Entgegen dem intuitiven Ansatz, aus den Beobachtungen des Hessdalen-Phänomens geeignete Theorien abzuleiten, wäre es vielleicht sinnvoller, zunächst Theorien aufzustellen und anschließend zu prüfen, ob sie mit den in Hessdalen beobachteten Phänomenen in Einklang stehen. Diese Vorgehensweise ist ein zentrales Postulat des Kritischen Rationalismus und wurde bereits von Einstein bevorzugt: "Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können."
Folgt man den Postulaten des Kritischen Rationalismus, so könnte man z.B. das Wirken außerirdischer Intelligenzen für die Entstehung der Lichter in Betracht ziehen. Die auch als Fermi-Paradox bekannte Frage, wehalb die Menschheit trotz vermutlich vieler Milliarden bewohnbarer Planeten in der Milchstraße keinen Besuch von Außerirdischen erhält, stellt ein ernsthaftes wissenschaftliches Problem dar, welches in Hessdalen auf elegante Art und Weise gelöst werden könnte. Da es sich bei den Hessdalen-Lichtern um ein beobachtbares Phänomen handelt, kann die extraterrestrische Hypothese anhand des Hessdalen-Phänomens überprüft werden: Eine Theorie muss an der Erfahrung scheitern können und die extraterrestrische Hypothese kann in Hessdalen scheitern.
Ein verbreiteter Einwand gegen die extraterrestrische Hypothese besteht in einer Denkfigur namens "Ockhams Messer". Demnach sollten zur Erklärung eines Phänomens so wenige Zusatzannahmen wie möglich herangezogen werden. Da die Existenz außerirdischer Besucher nicht als bestätigt gelten kann, wäre es sinnvoller, bewährte Annahmen zur Erklärung heranzuziehen. An dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass die renommierten Physiker Boris Smirnov und David Fryberger zu der Einschätzung kommen, dass die Erscheinungen nicht mit der heutigen Mainstream-Wissenschaft erklärt werden können und die Entwicklung neuer physikalischer Ansätze erfordern. Vor diesem Hintergrund müsste man sich also fragen, ob die Inbetrachtziehung außerirdischer Besucher tatsächlich eine voraussetzungsreichere Zusatzannahme wäre als die Entwicklung einer neuen Physik.
Nach allem, was wir heute über das Hessdalen-Phänomen wissen, lassen sich keine überzeugenden wissenschaftstheoretischen Argumente formulieren, die eine pauschale Ablehnung der extraterrestrischen Hypothese rechtfertigen würden. Bemerkenswerterweise spielt die Hypothese in der wissenschaftlichen Debatte um das Hessdalen-Phänomen jedoch keine Rolle. Mehr noch: Spekulationen der Medien über außerirdische Intelligenzen haben sich sogar als schwerwiegendes Hindernis bei der Akquise von Forschungsgeldern erwiesen: Keine Forschungseinrichtung möchte mit derartigen Überlegungen in Verbindung gebracht werden.
Philippe Ailleris hat in einem Artikel für die Zeitschrift Acta Astronautica die 50-jährige Geschichte weltweiter Forschung zu unerklärten atmosphärischen Phänomenen untersucht und gelangt zu folgendem Fazit: "For this reason it could be said to be essential not only to keep Norway’s Project Hessdalen active, but also to devote supplementary resources to it. [...] Here remains the possibility for Science to discover new phenomena, extraterrestrial or otherwise." (Acta Astronautica 68 [2011] 2–15)